名字也早就有:血管外通路。
Der Stiel eines Spinatblatts erinnerte Biotechniker Joshua Gershlak an eine Aorta. Gemeinsam mit seinem Kollegen fand er einen Weg, funktionsfähiges Herzgewebe aus Spinat zu züchten. Dies wird die zukünftige Medizin revolutionieren. Warum?
Wissenschaftler des Worcester Polytechnic Institute (WPI) erregten kürzlich Aufsehen mit einem unglaublich klingenden Experiment. Sie transformierten ein normales Spinatblatt aus dem Supermarkt in funktionsfähiges Herzgewebe. Das Ziel des Teams war es, menschliches Organgewebe bis hin zu dem feinen Gewebe von Blutgefäßen nachzubauen, ohne die es nicht existieren kann.
Normalerweise sollte man ja mit solchen als „Durchbruch“ angepriesenen Meldungen in der Medizin eher skeptisch sein. Häufig geht es darum, Aufmerksamkeit auf ein Projekt zu lenken, doch eine realistische Umsetzung scheitert allzu oft an der Reproduzierbarkeit der Daten oder der Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf den menschlichen Körper. Doch bei diesem einzigartigen Experiment könnte es sich tatsächlich um ein Verfahren handeln, das die zukünftige Medizin der Organzüchtung revolutionieren könnte. Warum? Dazu muss man sich einmal genauer ansehen, was die Wissenschaftler eigentlich gemacht haben.
Faszination Spinat
Spinat galt zu Großmutters Zeiten als Lebensmittel, das gesund und stark macht. Doch damals wäre noch niemand auf die Idee gekommen, dass er eines Tages dazu verwendet werden würde, Herzgewebe zu erzeugen. Natürlich kann Spinat alleine niemandem Muskeln schenken, auch nicht den wohl wichtigsten Muskel unseres Körpers – das Herz. Doch das Gemüse hat ein paar physikalische Eigenschaften, die Biomedizintechniker begeistern. Beispielsweise bildet der Spinat ein hauchdünnes feines Netzwerk aus kleinen Venen aus, die sich durch das Blatt fädeln, um es mit Nährstoffen zu versorgen, ähnlich wie das Blutgefäßsystem in unserem Körper.
Das brachte die amerikanischen Biotechniker Glenn Gaudette und Joshua Gershlak auf eine ungewöhnliche Idee. Die beiden Forscher arbeiteten in ihrem Labor an der Züchtung von menschlichem Gewebe auf der Suche nach einer Lösung für den Mangel an Spenderorganen bei medizinisch notwendigen Transplantationen. Eines Tages beim Mittagessen – es gab natürlich Spinat – fiel Joshua Gershlak etwas auf: „Als ich das Spinatblatt ansah, erinnerte mich der Stiel an eine Aorta“. Er begann, das fein verästelte Venengeflecht des Spinatblatts mit menschlichen Gefäßen zu vergleichen und fasste einen Entschluss. „Ich dachte, lass uns probieren, das Blatt durch den Stiel mit Blut zu perfundieren“. Aus der verrückten Idee entwickelte der junge Doktorand am WPI ein ausgereiftes Experiment.
Ein schlagendes Herz
Zunächst besorgten sich die Forscher Spinatblätter aus dem Supermarkt nebenan. Dann entwickelten sie einen Prozess, um alle pflanzlichen Zellen aus dem Spinat hinauszuwaschen, die sogenannte Dezellularisierung. „Wir verwenden dazu ein Reinigungsmittel, eine bestimmte Art von Seife, die alle Zellen aus dem Gewebe ablöst und entfernt“, erklärt Glenn Gaudette. „Übrig bleibt dann nur noch eine Hülle aus Polysacchariden (die Zellulose), die dem Blatt seine Struktur gegeben hat.“ Die Seife hat die pflanzlichen Zellmembranen zerstört und alle kaputten Zellen ausgewaschen, ohne jedoch die Gefäßstruktur des Blattes zu zerstören. In den leeren Hüllen der Pflanzengefäße züchteten die Forscher als nächstes menschliche Endothelzellen an. Tatsächlich waren die menschlichen Zellen in der Lage, auf den Innenwänden der Spinatvenen anzuwachsen.
Begeistert von diesem Ergebnis, gingen die Wissenschaftler daraufhin einen Schritt weiter. Sie siedelten an der Außenwand der Spinatgefäße aus Stammzellen gezüchtete menschliche Herzmuskelzellen an. Nach fünf Tagen begannen die Muskelzellen anzuwachsen und sich unter dem Mikroskop sichtbar zu kontrahieren. Für Gershlak ein ganz besonderer Moment: „Ich habe es erst auf den zweiten Blick erkannt. Plötzlich sah ich, dass sich die Zellen bewegen“. Der aufgeregte Forscher zückte sofort sein Handy, um das Geschehen in einem unscharfen Video zu dokumentieren. Die menschlichen Herzmuskelzellen konnten sich über einen Zeitraum von 21 Tagen aus eigenem Antrieb kontrahieren.
Der Prozess der Dezellularisierung des Spinatblatts. Bildquelle: Worchester Polytechnic Institute
Auch Äpfel können Formgeber sein
Um den Blutfluss durch die Blattgefäße zu simulieren, gaben die Forscher als nächstes rot gefärbte Flüssigkeit in den Blattstiel und konnten so den Fluss durch die Spinatvenen beobachten. Um das ganze realistischer zu machen, bauten sie zudem die roten Blutkörperchen in der Form von 10 Mikrometer kleiner Kugeln nach und durchspülten damit erfolgreich das Spinatblatt. Alle Gefäße wurden im Experiment von der roten Flüssigkeit durchzogen. Das beweist, dass die pflanzlichen Gefäßgerüste auch nach der Dezellularsierung offen bleiben und in der Lage sind, Mikropartikel ähnlich denen unseres Blutes zu transportieren.
Die Forscher des WPI waren nicht die ersten, die menschliches Gewebe auf einer Pflanzenbasis anzüchteten. Vor kurzem verwendete beispielsweise ein Team von Wissenschaftlern aus Ottawa einen Apfel, um ihn zu dezellularisieren. Sie schnitzten das Apfelstück in der Form eines menschlichen Ohres und füllten es mit menschlichem Zervixgewebe, das daraufhin zu wachsen begann. Doch Gaudette und Gershlak sind die ersten Forscher, die die Dezellularisierungstechnik verwenden, um Pflanzenvenen als Basis für menschliche Blutgefäße zu nutzen.
Das dezellularisierte Spinatblatt nach Durchspülung mit roter Farbe. Bildquelle: Worchester Polytechnic Institute
Die Schwierigkeit der kleinen Röhrchen
Doch warum ist das nun ein Durchbruch in der Medizin? Man könnte ja denken, warum nicht einfach das benötigte Gewebe beispielsweise per 3D-Druck herstellen? Dazu muss man wissen, dass dies bis jetzt unmöglich war. Jetzige biotechnische Methoden konnten bislang nicht das verästelnde Netzwerk von Blutgefäßen bis auf die Kapillarebene nachbilden, das notwendig ist, um den Transport von Sauerstoff, Nährstoffen und essentieller Moleküle zu gewährleisten. Obwohl es schon viele Fortschritte in der Herstellung von biomedizinischen Zellträgern gibt, blieb der Transport der lebensnotwendigen Nährstoffe in komplex hergestelltem menschlichen Gewebe immer noch eine Herausforderung. Ohne Kapillaren, die das künstlich gezüchtete Gewebe versorgen, stirbt es ziemlich bald ab. Doch warum ist es so komplex, das menschliche Blutgefäßsystem nachzubilden?
Um das zu begreifen, muss man sich einmal die Dimensionen einer Kapillare klarmachen. Man stelle sich eine winzig kleine Röhre vor, kleiner als der Durchmesser eines Haares. Das ist die Größe, in der wir uns hier bewegen. Menschliches Haar hat einen Durchmesser von ca. 30-100 Mikrometern, die kleinsten Kapillaren in unserem Körper messen dagegen gerade einmal 5 Mikrometer. Sie sind sogar so klein, dass unsere roten Blutkörperchen nur noch einzeln hintereinander durchpassen, wie im Gänsemarsch – und das gerade so, sie müssen sich dazu schon verbiegen. Man kann sich also vorstellen, dass es ziemlich schwierig ist, etwas derartig Winziges nachzubilden. Und man muss ja nicht nur eine einzelne Kapillare nachbilden, sondern hunderte, ja tausende dieser kleinen Röhrchen, die zusammen das Kapillarbett bilden, um unser Gewebe optimal versorgen zu können.
Kopie aus der Natur
Die Bedeutung des Spinatexperiments ergibt sich also daraus, dass die Wissenschaftler herausgefunden haben, dass man möglicherweise gar nicht den Aufwand betreiben muss, diese kleinen Kapillaren künstlich nachzubilden. Denn es gibt sie schon in der Natur. Schaut man sich ein Pflanzenblatt mal genauer an, bemerkt man, dass es ziemlich viele verästelte Strukturen hat. Diese Gefäßstrukturen, die den tierischen Venen sehr stark ähneln, kann man sich zu Nutze machen, um das Problem zu lösen. „Pflanzen und Tiere nutzen grundlegend unterschiedliche Vorgehensweisen, um Flüssigkeiten, chemische Stoffe und Makromoleküle zu transportieren, allerdings gibt es überraschende Ähnlichkeiten, was die Struktur ihrer Blutgefäße betrifft“, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Veröffentlichung.
So konnten sie letztlich auf Pflanzenbasis gewonnenes Gewebe herstellen, das als eine Art Stützgerüst für Tissue-Engineering Anwendungen dient. Die Forscher nutzten also quasi die vorgefertigten Venenstrukturen der Spinatblätter als Gerüst für menschliche Blutgefäßzellen und konnten somit eine mögliche Antwort liefern auf die lang gestellte Frage „Wie können wir ein Blutgefäßnetzwerk herstellen, das all die winzigkleinen Kapillaren enthält, um unser künstliches Gewebe zu versorgen?“
Zellulose – ein guter Stoff
Das Besondere an der Arbeit von Glenn Gaudette and Joshua Gershlak ist, dass es vor allem einen Bestandteil der Pflanzen hervorhebt, ohne den die Nachbildung der Gefäße nicht möglich wäre: die Zellulose. Sie ist der Stoff, der übrig bleibt, wenn man die Spinatblätter von allen anderen Zellen befreit. Zellulose kennt man als Ballaststoff in unserer täglichen Ernährung, beispielsweise in Salat. Sie ist sehr robust, denn sie besteht aus so komplex miteinander verknüpften Kohlenhydraten, dass der menschliche Körper keine Enzyme besitzt, um sie aufzuspalten – er kann sie nicht verdauen. Kühe und andere Wiederkäuer besitzen dagegen die Hilfe von anaeroben Mirkoorganismen und können so einen Großteil in Fettsäuren umwandeln und verstoffwechseln.
Zellulose ist deswegen so besonders, weil sie ein biokompatibler Stoff ist, das heißt, dass sie der menschliche Körper gut annimmt und nicht durch Immunreaktionen abstößt. Chirurgisches Nahtmaterial wird deswegen aus Zellulose hergestellt und früher war sie sogar Hauptbestandteil von Dialysatoren zur Blutwäsche. Auch Baumwolle besteht zu 99% aus Zellulose. „Zellulose wird bei einer Reihe von Anwendungen in der regenerativen Medizin verwendet wie beispielsweise im Bereich der Knorpelgewebetechnik, Knochengewebetechnik und Wundheilung“, erklären die Forscher des WPI. Dennoch müssen weitere Versuche erst zeigen, ob die komplexeren zellulosegestützten Blutgefäße aus echten Pflanzen Immunreaktionen im menschlichen Körper hervorrufen können.
Bisher scheiterte es an der Matrix
Die Zellulose, die nach Auswaschung der Spinatblätter zurückbleibt, dient im Spinat-Experiment als Ersatz für die sogenannte extrazelluläre Matrix (EZM) des menschlichen Körpers. Diese Matrix besteht aus Makromolekülen wie zum Beispiel Kollagen oder Elastin, Glukosaminoglykanen wie der Hyaluronsäure, aber auch Wasser. Zusammen bilden sie die Grundsubstanz und Fasern bilden, die den Platz zwischen den Zellen füllen. Die EZM hat vielfältige Aufgaben wie beispielsweise die Verankerung von Zellen, die Unterstützung der Zell-Zell-Kommunikation oder die Strukturgebung. Bei Pflanzen übernimmt die Zellulose die Formgebung der Zellen, sie ist Hauptbestandteil ihrer Zellwand. Da tierische Zellen keine Zellwand haben, sondern nur eine dünnere Zellmembran, bekommen sie die Stabilität also durch den Stoff zwischen ihnen.
Bislang ist es Forschern zwar schon gelungen, menschliche Herzzellen zu züchten, aber an ihrem Stützgerüst, der Extrazellulären Matrix, sind sie bisher gescheitert. „Eines der großen Probleme in der Züchtung von Herzmuskelgewebe ist, seine Zellen ausreichend mit Blut zu versorgen“, erklärt Glenn Gaudette die Problematik. „Der Herzmuskel ist ziemlich dick. Jetzige Technologien können kein Gewebe erzeugen, das dicht genug ist, um kaputtes Herzgewebe zu reparieren und gleichzeitig kleinen
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