Angespannte Atmosphäre beim Besuch von Wen Jiabao in Berlin
Berlin - Der Ton hat sich verschärft. Deutschland, das lange Zeit mit mehr Bewunderung als Misstrauen auf das erstarkende China blickte, entdeckt eine neue gelbe Gefahr. China, so heißt es jetzt häufig, klaut unsere Ideen, nimmt unsere Arbeitsplätze, zerstört unsere westliche Wertkultur. China wird immer mehr als Rivale denn als Partner wahrgenommen.
Auch Regierungschefs sind nicht frei von den öffentlichen Debatten. Das Treffen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao gestern in Berlin fand denn auch in einer freundlichen, aber leicht angespannten Atmosphäre statt. Gleich am Anfang ging die Bundeskanzlerin über zu den "Differenzen", die sie mit ihrem Kollegen besprochen habe: Schutz geistigen Eigentums, Menschenrechte, Medienzensur. "Wir sind manchmal unterschiedlicher Meinung", betonte sie mehrfach. "Aber wir werden uns wieder darüber austauschen."
Merkels Botschaft: Deutschland will gute, enge Beziehungen zu Peking, aber - anders als unter China-Schmeichler Schröder - nicht mehr zum Preis der stillschweigenden Unterwürfigkeit. Immer wieder aufmunternd zu Wen lächelnd revanchierte sie sich freundlich für ihren China-Besuch im Mai - und demonstrierte Selbstbewusstsein. Wen dagegen blickte unsicher um sich, brachte kaum ein Lächeln über die schmalen Lippen. Nach einem Angreifer, der hinterlistig deutsche High-tech-Blaupausen kopiert, sah er nicht aus. Eher wie ein kleiner Junge, der mit Lobeshymnen auf die deutsche Technik seiner großen Schwester schmeichelt und bescheiden um Vertrauen bittet.
Schließlich hatte Wen bereits auf seinen vorigen Europa-Stationen einen auf den Deckel bekommen. Auf eine Aufhebung des EU-Waffenembargos kann China gar nicht hoffen, auch nicht wenn Deutschland 2007 den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Zudem verweigerte die EU-Kommission der Volksrepublik auf dem EU-China-Gipfel in Helsinki eine Aufwertung in den Status der Marktwirtschaft. Auf einem deutsch-chinesischen Wirtschaftskongress in Hamburg kritisierte Wirtschaftsminister Michael Glos Chinas Handelspraktiken. "Ende dieses Jahres dürfte das deutsche Handelsbilanzdefizit 20 Milliarden Euro deutlich überschreiten", klagte er und forderte eine weitere Öffnung des chinesischen Marktes "zu fairen Bedingungen".
China, das ist ein Dauerbrenner deutscher Asienpolitik, spielt im globalen Wettbewerb häufig mit unlauteren Methoden. Wer im Reich der Mitte investieren will, muss seine Technologie preisgeben. Im Kraftwerksbereich etwa müssen chinesische Unternehmen zu 70 Prozent eingebunden sein, in der Automobilbranche zu 40 Prozent. Mit diesen Richtlinien verstößt China zwar gegen die Regeln der Welthandelsorganisation, der es 2001 beigetreten ist. Aber auf diese Weise entwickelt es sich im Eiltempo vom Billigproduzenten zum Standort, wo die Technologiesprünge der Zukunft stattfinden könnten.
Doch gerade im Bereich Forschung und Entwicklung droht Deutschland als Land der Erfinder an Vorsprung gegenüber China zu verlieren. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beklagt einen anhaltenden Akademikermangel. Jährlich verlassen drei Prozent weniger Studenten die deutschen Hochschulen. China dagegen schafft jedes Jahr 20 Prozent mehr Studienplätze. Seit Mitte der 90er-Jahre hat das Land seine Aufwendungen für Forschung und Entwicklung vervierfacht. Prognosen sagen, dass bis zum Jahr 2020 fast 40 Prozent aller weltweiten Investitionen im Bereich Forschung und Entwicklung in China getätigt werden. Dann wird sich das Thema Technologieklau erledigt haben. China wird dann selbst ein Interesse daran haben, seine Erfindungen zu schützen.