一篇德国人写的中国旅游报道,湘潭 / 湖南,图

一篇德国人写的中国旅游报道,湘潭 / 湖南
China: Reisebericht Xiangtan / Hunan

- von Birgitta Hahn






Ni hao!



Mein Name ist Birgitta Hahn. Seit Januar 2007 bin ich als Praktikantin bei
einer chinesischen Investmentfirma im in Xiangtan/Hunan
Province taetig. Die offizielle Bezeichnung fuer meine Stellung lautet
„German Representative“ und das trifft meinen Aufgabenbereich im Grunde
genommen haargenau. Unserer Firma scheine ich jedenfalls primaer mit meiner
blossen Anwesenheit zu dienen. So sind Kenntnisse in den Bereichen
Verwaltung, Marketing oder gar Management einer Investmentfirma
groesstenteils abkoemmlich, wenn man denn nett „Ni hao“ sagen kann,
freundlich zu laecheln weiss und seinen Chef bereitwillig zu allen
Geschaeftsessen und Karaoke-Abenden begleitet. Weitere entscheidende
Qualifikationen, ohne die man in einem chinesischen Unternehmen besser nicht
antreten sollte, sind ausgepraegte Trinkfestigkeit und Toleranz gegenueber
Kettenrauchern. Letzteres ist natuerlich ueberspitzt ausgedrueckt, aber
immerhin gehoert es in Xiangtan zu den heiligen Business-Ritualen, zu Beginn
eines jeden Meetings eine Runde „Furongwang“ – Unternehmer-Zigaretten,
leicht erkennbar an ihrem anzugsblauen Filter – an alle Anwesenden zu
verteilen und in stiller Kollegialitaet zu rauchen. Sollen Business Dinners
von Erfolg gekroent sein, haelt man sich am besten an die simple 30-70
Gleichung aus: 30 % Essen + 70 % Trinken = 100 %-er Gewinn. Entscheidend ist
auch die Art, was und wie man trinkt. Zieht man es vor, teuren Rotwein in
kleinen Schlucken und nur zu zartem Rindfleisch zu geniessen, wird man
allenfalls ein mitleidiges Laecheln ernten. Grosse Schlucke Bier aus hohen
Glaesern koennen dagegen schon ein joviales Schulterklopfen nach sich
ziehen. Die Garantie, den Gast auf seine Seite zu ziehen, von vor Respekt
geweiteten Augen bis zur Restauranttuer begleitet zu werden und selbige mit
dem ersehnten Vertragsabschluss in der Tasche zu verlassen, hat man
letztlich aber nur bei Schnaps, wenn er denn aus breiten Whiskey-Glaesern
und zu anfeuernden „Gan bei!“ („Prost!“)- Rufen Runde um Runde weggeext
wird.



Es bietet sich an, im Folgenden einen klassischen Arbeitstag in unserer
Firma zu beschreiben, damit sich Xiangtan-Unkundige und andere Neugierige
ein Bild von unserem Alltag machen koennen. Ich bitte langjaehrige
China-Kenner meine moeglicherweise laienhafte Schilderung zu entschuldigen,
bin ich doch nach wie vor ein Frischling in Xiangtan. Auch Praktikanten in
anderen Staedten bzw. Unternehmen moegen bedenken, dass sich meine
Beschreibung ausschliesslich auf Xiangtan und auf unsere Firma bezieht.
Meine Aussagen koennen demnach nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden.


Eine


Bild:
Eine Impression von zu Hause. Der Blick aus dem Fenster meines
festangestellten Kollegen.




Frueh um 10 vor 8 nimmt ein ganz normaler Arbeitstag fuer mich seinen Lauf.
Wenn ich nicht gerade von Krachern oder einer lautstark aufspielenden
Blaskapelle im Hinterhof geweckt werde, so uebernimmt der Fernseher einen
Stock ueber meinem Schlafzimmer mit Sicherheit den Weckdienst. Frisch
geduscht und leger gekleidet – ein Dresscode hat sich in unserer Firma noch
nicht durchgesetzt – finde ich mich im Gang mit meinen zwei deutschen
Kollegen, einem Praktikanten und einem Festangestellten, ein, um gemeinsam
unseren taeglichen Marsch zum Arbeitsplatz anzutreten. Unsere Wohnung liegt
in einer ruhigen, laendlich anmutenden Seitenstrasse, so dass wir zur
richtigen Zeit ab und an das Vergnuegen haben, auf unserem Weg zur Arbeit
einer Liveschlachtung beizuwohnen. Dabei wird eines der 15 Huehner, die in
einem niedrigen Kaefig auf gut einem halben Quadratmeter am Wegesrand
hausen, mit einer schnellen Bewegung seiner Halsschlagader entledigt. Weiter
geht es vorbei am Laden der kleinen Schneiderin, bei der wir regelmaessig
Mantou – Dampfnudel-artige Teigwuerfel – bestellen. Zwar kommt der
Mantou-Mann immer gegen 16:00 Uhr in unserer Strasse vorbeigeradelt, aber zu
dieser Zeit sitzt unsereins brav auf der Arbeit und faellt somit als
Direktkundschaft aus. Ein paar Meter nach der Schneiderei, die – wie fast
alle Laeden in Xiangtaner Seitenstrassen – in einer Art Garage untergebracht
ist und zu Oeffnungszeiten Blick auf die komplette Inneneinrichtung, vom
Naehmaschinentisch bis hin zur fehlerhaften Kleidung, gibt – reihen sich
Gemuesehaendler zur Bordsteinseite aneinander. Buendel gruener Kohlblaetter
bedecken den Boden und werden von den pruefenden Blicken vorbeischlendernder
Kunden begutachtet. Nun kommt der heikelste Part unserer Route, das
Ueberqueren einer Hauptverkehrsstrasse. Dabei hat sie nur zwei Spuren. In
China orientiert sich das Verkehrstreiben am „Survival-of-the-Fittest“-Prinzip:
Schwertransporter sind die unbezwingbaren Herrscher der Strasse,
Kleinwagenfahrer richten sich lediglich nach Bussen, Fahrrad- und
Mopedfahrer muessen dagegen unterschiedslos Alles im Auge behalten, was vier
Raeder hat. Den untersten Rang der Ueberlebenschancen-Kette bestreiten
schliesslich die Fussgaenger. Ist man also erleichtert aufatmend einem
hupenden Bus und drei vorbeirauschenden Taxis ausgewichen und hat es bis auf
die andere Strassenseite geschafft, kann es immer noch sein, dass man mit
einem heizenden Moped kollidiert, schliesst sich doch ein breiter
Zweiradstreifen an die beiden Vierradspuren an.



An unserem Arbeitsgebaeude angelangt, geht es per Aufzug in den 14. Stock
und mit einem beschwingten „Good Morning“ in die Runde direkt in unsere
heiss geliebten Arbeitsboxen hinein. Boxen, die – in dezentem Mindgruen
gehalten - eins zu eins dem amerikanischen Modell nachempfunden, nur in
ihrer Groesse und Breite asiatischen Koerpermassen angepasst sind. Auch wenn
jede Box mit einem eigenen Telephon ausgestattet ist, gibt es in der Firma
nur eine Telephonleitung. Das scheint Ruf und Ansehen unseres Arbeitgebers
aber nicht weiter zu schaden, denn schliesslich ist jeder Mitarbeiter mit
dem Neusten und Schicksten an tragbarer Telekommunikation ausgestattet.
Trendy Klingeltoene duerfen da natuerlich nicht fehlen und vor allem Klassik
ist ganz hoch im Kurs. So kann es schon mal vorkommen, dass in einer Woche
gleich bei zwei Mitarbeitern die ersten Takte von Beethoven’s „Fuer Elise“
durch das Buero schallen.

 

Der erste Gang im Buero fuehrt zur Klimaanlage, die im Winter als Heizung
benutzt wird. Einige unserer Kollegen halten es bei Minusgraden allerdings
lieber mit beigefarbener Thermounterwaesche, was schon zu so manchem
Streitgespreach gefuehrt hat, weil es ihnen bei angemessener Raumtemperatur
schnell zu warm wird. Die ersten Arbeitsstunden verfliegen in der Regel
ueber der Begutachtung und Saeuberung des eigenen Posteingangs. Bei unseren
chinesischen Mitstreitern sind dagegen in erster Linie chinesische Soap
Operas und Solitaire beliebt. Sollte es vorkommen, dass zwischenzeitlich
doch eine herausfordernde Aufgabe anfaellt, so wird diese sorgfaeltig und in
aller Ausfuehrlichkeit erledigt, weiss man doch nicht, ob der gegenwaertige
Tag so schnell noch einmal Produktives fuer einen bereithaelt. Puenktlich um
12 ertoent unsere Stechuhr – eine Elektroversion von „Jingle Bells“-, die
signalisieren soll., dass es Zeit fuer die Mittagspause ist. Unsere
komplette Belegschaft besteigt den Aufzug, der bis zu seiner Landung im
Erdgeschoss noch gut 5 mal gestoppt wird, um nicht nur den 10 Angestellten
unserer Firma, sondern noch etwa 10 weiteren Zugestiegenen ein paar
Zentimeter Stehplatz zu gewaehren.


In unserem Stammrestaurant angekommen, steht eine Auswahl an koestlichen
Gerichten meist bereits auf dem Tisch. Wir nehmen um einen runden Tisch mit
Drehplatte herum Platz, packen unsere Staebchen aus ihren Papierhuellen,
fuellen Reis in unsere Essensschalen und greifen hungrig zu. Waehrend des
Essens wird ausgelassen geplaudert und gescherzt, ein bisschen leiser, wenn
unsere beiden Chefs dabei sind, ein bisschen lauter, wenn wir Angestellten
unter uns weilen. Ehrengaeste bzw. die am hoechsten in der Hierarchie
Stehenden sitzen in China immer genau gegenueber von der Tuer und so ist
auch im Fall unserer Belegschaft die Sitzordnung klar geregelt: die Chefs
blicken tuerwaerts. An das gemeinsame Mittagessen schliesst sich ein
kollektiver Spaziergang zurueck zur Firma an.



Nachmittags ist es ueblich, dass wir einen unserer Chefs zu einem Meeting
mit Geschaeftskunden, Geldgebern oder einer Feier im Xiangtaner
Unternehmerkreis begleiten. Auch wenn nur mein festangestellter Kollege
diesen Treffen verbal folgen kann – er spricht fliessend Mandarin -, sehnen
wir uns Alle gleichermassen nach der Abwechslung gelegentlicher „Ausgaenge“.
Aufmerksamkeit muessen westliche Teilnehmer mit duerftigen
Mandarin-Kenntnissen bei solchen Treffen hauptsaechlich waehrend des
traditionellen Visitenkarten-„Zeremoniells“ walten lassen. Zueckt der
Besuchte nach einigen einleitenden Worten und dem obligatorischen Auftischen
gruenen Tees durch einen anwesenden Untergebenen seine Visitenkarte aus dem
Geldbeutel, so sollte man sie hoeflich mit beiden Haenden entgegennehmen,
anerkennend einige Minuten lang betrachten (auch wenn nur Schriftzeichen auf
der Karte aufgedruckt sind und man Nichts entziffern kann) und dann die
eigene Visitenkarte wiederum mit beiden Haenden im Gegenzug ueberreichen.
Von meinem festangestellten Kollegen wird zusaetzlich charmanter Small Talk
erwartet. Auf groesseren Versammlungen, wie etwa jenen auf unserer Baustelle
– eine unserer Produktionsstaetten befindet sich gerade im
Entstehungsprozess – wird er gelegentlich auch ermuntert, ein paar
motivierende Worte an den Bauleiter und die anwesenden Bauarbeiter zu
richten. Dabei kann er aus dem reich bestueckten Fundus an erhebenden
Ausrufen, die das Chinesische zulaesst, schoepfen, von einem trockenen
„Weiter so!“ bis hin zu einem bedeutungsschweren „Ihr seid das Rueckgrat
unserer Bluete!“. Nach Austausch der Visitenkarten und einer Runde Small
Talk lasst der eigene Boss dann gern noch in ein oder zwei stolzgetraenkten
Saetzen die besonderen Qualitaeten „seiner“ Auslaender durchklingen –
beispielsweise ist dieser auf eine angesehene Universitaet gegangen, jener
hat mit einem bekannten Wuerdentraeger schon im Zug gesessen und wieder ein
anderer kann gut tanzen, singen oder schwimmen. Im Anschluss wird meist ein
gemeinsames Abendessen fuer einen der folgenden Tage vereinbart, zu dem
natuerlich auch die auslaendischen „Representatives“ erwartet werden.



Bild:
Der Blick aus dem 14. Stock unseres Arbeitsgebaeudes




Nach geleisteter Ueberzeugungsarbeit nehmen unsere Chefs uns regelmaessig
mit zum Abendessen oder Badminton-Spielen. An anderen Tagen werden wir an
der Firma abgesetzt, um uns zu Arbeitsende bzw. wenn die 17-Uhr-Glocke im
Buero ertoent, nach Hause zu begeben. Der Rest des Tages gehoert in diesen
Faellen uns und wir koennen bedenkenlos aus der Rolle des
Vorzeigeauslaenders und in bequeme Jogginghosen schluepfen.........



Xiangtaner Street Life



Chinesen haengt der Ruf an, sich auf vielfältigste Weise und in aller
Oeffentlichkeit ihrer Koerpersaefte zu entledigen. Kurz gesagt: man hoert,
sie spucken gerne, und zwar überall hin. Klingt barbarisch und ist in der
Tat auch zu dramatisch dargestellt. Ganz Klischee ohne wahren Kern ist es
aber auch nicht. So kommt man beim Busfahren, im Restaurant, im Supermarkt
und auf der Arbeit immer wieder in den Genuss geräuschvollen Hochzuellens
von Speichel, grummelnden Würgens, um alles Dickfluessige in der Mundhöhle
zu sammeln, und anschließenden Ausspuckens. Oft dauert Letzteres nur eine
Sekunde, manchmal wird die eigene Spucke aber auch in Zeitlupe und unter
genauer Begutachtung auf den Boden abgeseilt. Ist nicht nur der Rachen rauh,
sondern auch die Nase verstopft, so beugt sich manch ein Xiangtaner beim
Essen leicht nach vorne ueber, spreizt die Beine zu beiden Stuhlkanten hin
auseinander, haelt ein Nasenloch zu und stoesst allen stoerenden Balast mit
geballter Wucht aus den engen Waenden des anderen Nasenlochs hinaus. Alle
anderen Koerpersaefte werden von erwachsenen Chinesen hinter verschlossener
Tuere entsorgt. Nicht so von chinesischen Kindern. Ob es an der
Ein-Kind-Politik und einer damit haeufig einhergehenden Verwoehnmanie des
spaerlich gesaeten Nachwuchses liegt oder aber an einem ganz eigenen
Auswuchs von Nationalstolz – Chinesen rühmen sich oft damit, „natürlicher“
als andere Völker zu sein -, Kindern ist es jedenfalls erlaubt, an jedem
x-beliebigen Ort ihr Geschaeft zu verrichten. Zumindest das kleine.
Besonders populaer scheinen dabei der Eingang zum Mc Donald’s, Vorplätze von
Einkaufszentren und Bushaltestellen zu sein. Auch wenn man sich bei solchen
Szenen zu Recht fragt, was ist mit Parks, warum nicht in Parks, warum nicht
in der Natur, so ist dies Alles kein irritiertes Augenbrauenheben wert, denn
immerhin wird das Geschäft draußen verrichtet. Letzten Sonntag wurden wir
jedoch Zeugen einer Pinkelszene im öffentlichen Raum, sprich drinnen.



Passanten


Bild:
Passanten im Zentrum von Xiangtan




Wir hatten uns gerade zum Essen im Brasscafe – eines unserer Stammlokale, in
dem sowohl westliche als auch chinesische Kueche serviert wird –
niedergelassen, als eine junge Mutter mit Kind und Ehemann hereinkam.
Nachdem sie ihre Tasche an einem Tisch in unserer Nähe abgestellt hatte,
trat die Mutter mit ihrem Sprössling ein paar Meter nach rechts, löste ihm
die Windel und zog sie behende aus der Hosenoeffnung heraus – chinesische
Kinderhosen sind am Gesaess mit einem weiten Schlitz versehen. Eine
Unterhose wird in der Regel nicht getragen. Dann fasste sie ihren Sohn an
den Oberschenkelinnenseiten, hielt ihn eine Armlänge von sich gestreckt in
die Luft und liess ihn mitten im Cafe sein Bächlein machen. Wir wollten uns
gerade den ersten Bissen in den Mund schieben, stockten jedoch und hielten
inne, da wir das, was sich da gerade vor unseren Augen abgespielt hatte,
erst einmal verdauen mussten. Die Uebeltaeter selber verzogen keine Miene
und durchschritten die Lache am Boden anschließend mehrere Male ungeruehrt,
so als ob sie praktisch gar nicht vorhanden waere und Geruch aussonderte. 10
Minuten später näherte sich eine Bedienung und tauchte gelassen einen
Wischmop in die Pfuetze. Das Irrwitzige an der ganzen Situation war nur,
dass die Toilette knapp 100 Meter vom Tisch der Eltern entfernt lag. Ganz
unberechtigt ist auch nicht die Frage, wozu das Kind eigentlich eine Windel
an hatte.



Ein


Bild:
Ein Schlaefchen nach dem Zeitunglesen

 


Nun aber zurueck zu den Xiangtaner Strassen. Was kann einem „in the streets
of Xiangtan“ sonst noch Alles passieren? Eine grundlegende Differenzierung,
die getroffen werden sollte, ist, ob ein Westler in Xiangtan unterwegs ist
oder ein Chinese. Ist Ersteres der Fall, so bekommt unser Stadtschlenderer
schnell das Gefuehl, eine allseits bekannte Lokalgroesse zu sein, wird er
doch alle 50 Meter gegruesst. Dabei ist nicht gleich ersichtlich, ob er eher
der Kategorie Groupie-umgarntes Teenie-Idol zuzuordnen ist – man stelle sich
eine Schar chinesischer SchuelerInnen vor, die ihm hinter vorgehaltener Hand
und schamesrot kichernd „Hello, where are you from?“ zuschekert -, oder aber
ob er mit dem Zeitungshaendler von nebenan neulich nicht vielleicht doch ein
paar Glaeser Schnaps zuviel getrunken und dabei Blutsbruderschaft geschworen
hat. Immerhin bruellt ihm selbiger beim Vorbeigehen „Hello!“ und „Good luck
for you!“ zu. Eigentlich gibt es kaum eine Gelegenheit, die der Xiangtaner „city
dweller“ auslaesst, um seine Englisch-Kenntnisse an den Mann oder die Frau
zu bringen. Besonders der Berufsverkehr scheint sich fuer ein kurzes
Schwaetzchen anzubieten und so sollte man nicht zusammenzucken, wenn einem 5
Chinesen im Chor und mit einem herausfordernden Grinsen auf dem Gesicht
„Good afternoon“ aus einem vorbeirasenden Auto zuschreien.



..oder


Bild:
..oder nach der taeglichen Warenausfuhr




Westliche Besucher sind in Xiangtan jedoch nicht nur in linguistischer
Hinsicht interessant, sondern auch visuell exotisch. Befreiendes
Untertauchen in einer anonymen Masse, wie man es aus deutschen Grossstaedten
kennt, ist jedenfalls ein Ding der Unmoeglichkeit. Egal, was man in der
Stadt zu erledigen hat, ob man einen Schaufensterbummel macht, tatsächlich
etwas anprobiert und kauft, oder einfach nur von A nach B laeuft und dabei
gedämpft in sein Handy spricht, Alles ist spannend und den voyeuristischen
Nachforschungen zahlreicher Augenpaare ausgesetzt. Im Supermarkt kommt es
zuweilen vor, dass man „unauffällig“ durch das gesamte Geschäft verfolgt
wird - es könnte ja sein, dass man irgendwann doch noch beraten werden will.
Die oder der hilfsbereite Angestellte bleibt dabei immer ein paar Schritte
im Off, kommt dann zum Stehen, wenn man selber anhält, um eine bestimmte
Ware näher zu betrachten, und zieht sich an der Kasse schliesslich diskret
und vielleicht auch ein bisschen enttäuscht ins Ladeninnere zurueck. Selbst
im Bus wird man verblueffend rasch als „Wei guo ren“ (Auslaender) oder „Lao
wei“ (umgangssprachlich für Ausländer) entlarvt, was fuer China-Frischlinge
den positiven Nebeneffekt hat, dass man diese beiden Vokabeln ohne großen
Wiederholaufwand lernt und nach 2 Tagen in Xiangtan auch nicht mehr
vergisst.



Ein


Bild:
Ein Dreirad von unten




Als Chinese ist man in Xiangtan übrigens vorzugsweise auf zwei bzw. drei
Raedern unterwegs. Fahrräder, Fahrräder mit Anhaenger, Mopeds und Mopeds mit
Beiwagen erfreuen sich groesster Beliebtheit. Wider Erwartens fuehrt dies
jedoch nicht zu undurchkaemmbar dichten Zweiradspuren, denn Chinesen sind in
Sachen Platzbedarf aeusserst genügsam: sie teilen sich die
Zweirad-Sitzflaeche bereitwillig mit 2 bis 3 Familienmitgliedern, Freunden
oder Kollegen. Wem sollte es schon auch Freude bereiten, einsam und
verlassen auf einer Vespa durch die Stadt zu brausen? Da geteilte Freude
bekanntlich auch geteiltes Leid ist, ist man bei einem Unfall so außerdem
nicht der Einzige, der sich das wunde Knie reibt. Trotz der Liebe zu
Zweiraedern herrscht in Xiangtan reges Treiben auf den Gehsteigen. So sind
Berufe, die groesstenteils im Fussgaengerbereich – eine Fussgaengerzone hat
in Xiangtan bislang keinen Härtetest überstanden - ausgeübt werden, weit
verbreitet. Tofu-Händlerinnen, Köche an fahrbaren Grill- und Frittierbuden
und Wahrsager haben es dabei zweifellos einfacher als Straßenkehrer.
Letztere tun gut daran, rein buddhistisch an ihr Tagewerk heranzugehen –
immerhin werden sie wiedergeboren.



Eine


Bild:
Eine hilfsbereite Assistentin im Supermarkt

 


Ein Diskurs zum Xiangtaner „Street Life“ waere jedoch nicht nur lückenhaft,
sondern auch farblos ohne die Sportler. Auf dem Weg zur Arbeit begegnen wir
z.B. regelmaessig Rueckwaertslaeufern. Rueckwaertslaufen, so hat mir mein
festangestellter Kollege verraten, gilt in China als etablierte Sportart.
Immerhin wird dabei der Orientierungssinn geschult. Morgendliches
Warmklatschen hat an kälteren Tagen ebenfalls Hochkonjunktur.
Gesundheitsbedachte reiben dabei zunächst ihre Handflächen rhythmisch
aneinander und gehen anschließend zu einem lauten Klatschen ueber. Auch wenn
dieser anlasslose Applaus schon mal 15 Minuten dauern kann und
zwischenzeitlich immer wieder wellenartig an Lautstärke zunimmt, so ruft er
nicht etwa Erstaunen oder argwoehnische Seitenblicke von unsportlichen
Mit-Passanten hervor, sondern fällt überhaupt nicht weiter auf. Ein
international bekannter Morgensport ist darüber hinaus das Tai Chi. In
Europa begegnet man leidenschaftlichen Schattenboxern meist zu frühester
Morgenstunde in städtischen Grünanlagen. In China dagegen wird erst gar
nicht der Aufwand betrieben, einen Park aufzusuchen. Vielleicht ist
diesbezuegliche Bequemlichkeit der Sache aber ohnehin viel dienlicher? Was
wäre schließlich konzentrationsfoerdernder, als auf der Mittelinsel eines
stark befahrenen Kreisverkehrs „einen Regenbogen zu bewegen“?



Potentielle


Bild:
Potentielle Uebeltaeter im Supermarkt



Ein


Bild:
Ein Luftballonverkaeufer im Fussgaengerbereich



Eine


Bild:
Eine Schneiderin im Fussgängerbereich




Kreuzberger Naechte sind lang,

Xiangtaner Naechte aber sind lang, laut und lasterhaft




Wie mag ein China-Unkundiger Xiangtaner Naechte vor Augen haben? Fangen wir
zunächst mit dem Abend an – wie stimmt sich ein Xiangtaner „Bubugao“
-Normal-Verbraucher auf den wohl verdienten Feierabend ein? Zunächst sollte
man allzu verzärtelte Bilder aus dem Reich der Imagination verbannen: China
ist nicht die Oase der Ruhe und des unermesslichen Konzentrationsvermoegens.


Man stelle sich eine verwunschen schoene Landschaft mit mystisch
zerklüfteten Bergspitzen vor, die inmitten saftig gruen bewachsener
Reisfelder aus dem Boden sprießen. Im Vordergrund ein zierlicher Pavillon,
unter dessen geschwungenem Dach alte konfuzianische Gelehrte mit langem Zopf
und Schriftzeichen-verzierter Bastkappe hellgrünen Tee aus filigranen
Porzellantassen schlürfen. Neben ihnen Schriftrollen,
Kalligraphie-Utensilien und ein hölzernes Brettspiel mit Murmeln aus Stein.
Alles ist still, jedes noch so kleine Detail der Szenerie scheint in sich zu
ruhen. Die Abendsonne traenkt die Landschaft in güldenes Licht und überzieht
die samtenen Gesichter der Gelehrten mit einem matten Schimmer. Vielleicht
tauchen nach einigen Minuten vollkommener Harmonie zwei Kong Fu-Meister am
linken Bildrand auf und durchschneiden die Luft mit vereinzelten
Kampfesschreien. Die Kampfesbewegungen sind erlesen, jeder Sprung ein
Kunststueck, jeder Tritt einen Seufzer des kontemplativen Entzueckens wert.
So oder so aehnlich wird China gerne in modernen Medien dargestellt, die das
Prädikat „Hollywood“ tragen. Filme wie „Tiger & Dragon“ lassen ein China
auferstehen, für das man gut 100 Jahre auf dem Zeitstrahl zurueckwandern
muss. Mit Sack und Pack und einer gehörigen Portion
Lebensstandard-Phantasie. Dieses Zen-China mit einem Schuss Jet Li hat
jedenfalls wenig mit der Xiangtaner Gegenwart zu tun.


Meine


Bild: Meine Vorgaenger-Praktikantin und
ich in einer KTV-Bar



Zunaechst sollte man die verwunschen schöne Landschaft durch ein
smog-verhangenes Industriestadt-Szenario ersetzen, in dem sich ästhetisch
fragwürdige Blockbauten aus grauem Asphalt empor raekeln. Es mag in China
nach wie vor alte konfuzianische Gelehrte geben, die Tee aus Porzellantassen
schluerfen, nur begegnet man ihnen nicht in Xiangtan. Wahrscheinlicher ist
es, an lauen Sommerabenden „Mah Jong“ -Spielerinnen an niedrigen Tischen vor
ihren Haeusern laut wettstreiten zu hoeren, Karaoke-Suechtige in die KTV-Bar
ums Eck schluepfen zu sehen und von einstigen Saufkumpanen am „Bing Lang“
-Stand zu einem Schwaetzchen ueberredet zu werden. Besonders Zweiteres –
Karaoke - zählt für Chinesen ganz klar zu den Favoriten abendlichen
Entertainments.


JazzD-Szenerie



Bild: JazzD-Szenerie mit Saenger und Bodyguard im Vordergrund



Ob man nun als Tourist, Student oder Business-woman nach China kommt, ohne
einen ausgedehnten Karaoke-Abend mit chinesischen Bekannten verlässt
garantiert niemand das Land. Auch die hartnaeckigsten Verfechter
musikalischer Mangelbegabung und mitleidserregender Tonverfehlungen werden
gnadenlos ans Mikro zitiert. Dennoch...nicht selten fangen einst chronisch
singallergische Auslaender Feuer und teilen schon nach kurzer Zeit die
Karaoke-Euphorie der Chinesen. Dies liegt vor allem daran, dass Laiensaenger
in chinesischen KTV-Bars nicht nach Melodie- und Textsicherheit bewertet
werden, wie das bei deutschen Karaoke-DVDs ueblich ist. Auch wird weder
gegeneinander gesungen noch der Punktestand für möglichst viele eins zu eins
ihren Originalen nachempfundene Songs am Ende verglichen. Verirren sich also
ein paar falsche Toene in die Melodie, wird niemand in China als musikalisch
unbrauchbar gebrandmarkt. Außerdem fällt die eine oder andere Disharmonie
bei dem Geräuschpegel in einer gewöhnlichen KTV-Bar ohnehin nicht weiter
auf. Auch textlich bleibt Raum für Kreativität und kein Interpret sollte
sich schämen, wenn er eine Zeile frei nach Gusto umdichten muss, weil er den
Zeichen am Bildschirmrand nicht schnell genug folgen kann. Kurzum: in China
wird Karaoke nicht zu einem Wettkampf umstilisiert. Viel entscheidender ist,
ob jemand eine schöne Stimme hat, mit der er seine Zuhörer erfreuen kann.
Gefragt sind auch bislang ungeahnte Neuinterpretationen alter Klassiker.
Dies sorgt immer wieder fuer Erheiterung, vor allem wenn englische
Evergreens von chinesischen Ersthoeren „gecovert“ werden. In der Regel
beeindrucken Chinesen allerdings durch musikalisches Gespür und Stimmgewalt.
Das hat unter Umstaenden auch damit zu tun, dass sie bereits jahrelanges
Training hinter sich haben.


JazzD-Szenerie


Bild: JazzD-Szenerie mit Getraenken und
Wuerfelspielen auf dem Tisch



Gesungen wird in einer KTV-Bar in einzelnen schalldichten Räumen. Meist
werden diese Separees von bequemen Ledersofas, einem Spiegelzug und zwei bis
drei Glastischen zu der einen Seite sowie der obligatorischen Video-Leinwand
und dem Musik-Display zur anderen Seite ausgefüllt. Hat man auf einer Caoch
Platz genommen, wird sogleich grüner Tee in hohen Masskruegen serviert.
Sollte man von einem grosszuegigen Gastgeber ausgefuehrt werden, kommen noch
reichhaltig garnierte Obstplatten und Bier, Wein oder Schnaps hinzu. Bei
einem weniger wohl betuchten Sponsor wird der Tee durch zwei Körbchen
Popcorn ergänzt. Für chinesische Karaoke-Gaenger fuehrt der erste Gang nach
Betreten des Separees allerdings nicht zum Sofa, sondern zum Musik-Display,
um die persönlichen Lieblingshits zu programmieren, bevor ein anderes
unentdecktes Talent sie einem vor der Nase wegschnappen kann. So flimmert
nach nur 2 Minuten im Separee auch schon das erste Musikvideo auf dem
Bildschirm und das Mikro wiegt sich fest in chinesischer Hand. Chinesische
Songs bestechen häufig durch inhaltliche Dramatik und nicht minder
verzehrende Bilduntermalung. In den meisten geht es um die un-möglichste
aller Emotionen: um die Liebe, oder, besser gesagt, um die unausgesprochene
Liebe, die unerreichbare Liebe, die unerwiderte Liebe oder auch die
unerträgliche Liebe. Manchmal geht es auch um Tibet oder andere malerische
Landstriche. Das englischsprachige Repertoire ist meist unerwartet
vielfältig, wenn auch nicht ganz aktuell. Die Eltern-Generation jetziger
20-jaehriger käme jedenfalls auf ihre Kosten. So werden vergessen geglaubte
Country-Oldies im Laufe eines langen Karaoke-Abends wieder ins Reich der
Erinnerungen zurueckgesungen und fetzige Videos aus den frühen 80er Jahren –
platinblonde Dauerwelle, Gymnastikbody und Silberblazer lassen grüssen –
sorgen visuell fuer Stimmung. Jede Darbietung wird mit Applaus und
anfeuernden Zurufen belohnt und bei ganz romantischen Perlen des
chinesischen Liedgutes wird schon auch mal eine Runde Walzer eingelegt.


eines


Bild: …..eines der
legendaeren Late-Night-Hot-Pot-Dinners




Karaoke allein wuerde Xiangtaner Naechte jedoch nicht zum Leuchten
bringen....eine gelungene Mischung aus Karaoke, Tanzen im JazzD und
Late-Night-Hot-Pot-Dinner schon eher. „Anstaendige“, studierte und ranghoch
in der Regierung vertretene Chinesen (und vor allem Chinesinnen) werden sich
hueten, eine Diskothek aufzusuchen, könnte selbige doch ihrem guten Ruf
schaden. Brechend voll ist unser Lieblings-Club, das JazzD, jedoch trotzdem
immer. Schon bei der Ankunft an den Pforten unserer favorisierten Britney
Spears-„Hoelle“ – leider rangiert Britney Spears auf chinesischen Hitlisten
immer noch ganz oben – werden wir von einem der vielen Entertainer bzw.
Trinkanimateure abgefangen. Selbige werden dafür bezahlt, dass sie Gäste
unterhalten und an das alkoholische Sortiment der Getraenkekarte
heranführen. Wir bekommen professionell leger die Hand gedrückt und werden
ungefragt an die Brust gedrückt – mit Schmackes natürlich, so wie man das
mit alten Sandkasten-Freunde machen würde. Im Inneren werden wir an einen
freien Tisch geleitet und auf dem Weg dorthin von zahlreichen Unbekannten
mit einem kollegialen Wink begruesst. Eintritt muss niemand bezahlen und
auch die Getränke bereiten uns kein finanzielles Kopfzerbrechen, denn wir
werden unentwegt eingeladen. Hier ein Gläschen Wodka-Lemon mit einem neuen
Bekannten, dort ein Schluck Wein mit einem ehemaligen Geschäftspartner des
Chefs. Faellt einem Goenner kein geeigneter Tost ein, greift er oder sie
gern auf ein populäres Trinkspiel zurück. Bei diesem Spiel hat jeder einen
Würfelbecher samt Untersatz und 5 Wuerfel zur Verfügung. Nach Schütteln der
Becher werden selbige auf den Tisch geknallt, aufgedeckt und jede Sechs, die
man gewürfelt hat, wandert in den Nachbarbecher. Jede Eins wird raus gelegt
und im Spiel nicht mehr verwendet. Derjenige, der als erster keine Wuerfel
mehr hat, hat gewonnen. Der Verlierer muss dagegen ein randvolles Glas in
einem Zug leeren. Dann geht das Spiel von Neuem los.



Nachdem man mit unzähligen Nightlife-Hoppern angestossen und sein Stamperl
dabei ein ums andere Mal brav ausgeext hat, darf man sich endlich
ungestoehrt dem Rhythmus der Musik hingeben und die Tanzfläche bevölkern.
Neben bereits erwähnten Uebeln der anglophonen Popwelt bekommen JazzD-ler
HipHop, R&B und die chinesischen „Top Ten“ zu hoeren. Letztere schallen
nicht nur lautstark aus den Boxen, sondern werden auch live dargeboten.
Einzelne Saenger und Saengerinnen besteigen nacheinander die kleine Buehne
neben der Bar und legen souveraen ihre Performances hin. Zu späterer Stunde
schwingen sich zu einem besonders doppeldeutigen R&B-Lied schließlich
aufreizende Tänzerinnen in knapper Garderobe an die Tanzstangen und heizen
dem männlichen Publikum mit laszivem Hueftschwung und arabisch anmutenden
Schlaengelbewegungen ihrer Arme und Haende ein. Mancher Laientaenzer wird
bei diesem Anblick ermutigt, sich selber vor Publikum zu produzieren,
streift das nass geschwitzte Hemd vom Kopf und besteigt den Stehtisch vor
sich. Alles, was ueber Blicke und Nachahmungsversuche hinausgeht, wird
jedoch ins Reich der Phantasie verbannt, denn sobald sich Tänzerinnen auf
der Bühne tummeln, wird die Buehne von finster blickenden Bodyguards
umstellt. Sind alle direkten visuellen Reize erschoepft und die Buehne
wieder leer, kann ein noch nicht auf seine Kosten gekommener Voyeur immer
noch mit den Fernsehern an Wand und Decke Vorlieb nehmen. Dort läuft das
Videoportrait von Hugh Hefner, dem Gruender und Chefredakteur des
Playboy-Magazins, in Dauerschleife. Neben Photos aus Hefners Kindheit lockt
das Portrait vor allem mit ungehemmten Partyexzessen und leicht oder gar
nicht bekleideten Playmates.



Um 12 ist der ganze Spuk vorbei, das JazzD befoerdert den letzten Taumelnden
dezent in die kuehle Nachtluft hinaus und fuer die Unersättlichen lautet die
naechste Etappe Hot-Pot-Dinner in der Innenstadt. Hot-Pots sind Woks auf
kleinen Stövchen, in die alle erwuenschten Zutaten roh hinein gegeben
werden. Hot-Pots bieten sich vor allem fuer ein winterliches Open
Air-Abendessen an, da es um den Hot-Pot herum urig warm ist. Ausserdem sind
Hot-Pots fuer ihre Schärfe bekannt, was einen vor bibbernden Gliedern
bewahren sollte. Hat sich der eigene Magen an einigen butterweich
geschmorten Kohlblaettern und glitschigen Huehnerkrallen erfreut, kriecht
aber auch bei hart gesottenen Nachtschwärmern langsam die Müdigkeit in die
Knochen und es wird gaehnend nach einem Taxi Ausschau gehalten, das einen in
die Wohligkeit der eigenen vier Wände zurueckbefoerdert.



Maenner in China – Wesen von einem anderen
Stern?




Maenner – was ist ueber sie nicht schon Alles geschrieben worden? Sogar mit
einem Lied wurden die Herren der Schoepfung bereits bedacht. Allerdings nur
die deutschen. Wie aber steht es um ihre chinesischen Counterparts? Was kann
man ueber sie berichten? Oder, besser gefragt, was kann frau ueber sie
berichten?



Natuerlich kann man nicht alle chinesischen Maenner ueber einen Kamm
scheren. Noch nicht einmal die Xiangtaner Maennerwelt. Dazu gibt es intern
zu viele Unterschiede. Mann ist nicht gleich Mann. Dennoch sollte es nicht
verwerflich sein, sich an einer groben Beschreibung zweier
charakteristischer Spezien zu versuchen, die das Xiangtaner
Gesellschaftsbild praegen.



Zunaechst muss auf einige aeussere Merkmale eingegangen werden, die dem
weiblichen Auge – trotz der Bedeutsamkeit innerer Werte, die hier nicht
geleugnet werden soll – nicht entgehen.
Da gibt es zum Einen den Typ Lokalheld: meist ein Herr mittleren Alters mit
ausgepraegtem Seitenscheitel oder im Rundbogen ueber den Hinterkopf
gelegtem, bereits leicht ausgeduenntem schwarzen Haar. Zahlreiche
Geschaeftsessen und damit einhergehende Trinkgelage haben dem Bauch im Laufe
der Zeit zu einer stattlichen Aussenwirkung verholfen. Die Kleidung setzt
sich in der Regel aus einem nur zur Haelfte zugeknoepften weissen Hemd oder
gestreiften Polosweatshirt zusammen, welches in eine locker fallende
dunkelblaue Baumwollhose gesteckt wird. Selbige wird wiederholt durch einen
dezenten Griff an den Guertel und dessen auffaellige Schnalle – meist ist
sie vergoldet, manchmal aber auch mit dem eigenen Firmenemblem versehen –
auf Bauchnabelhoehe zurecht gerueckt. Stellt man sich den Bauch als Erdkugel
vor, sitzt die Hose praktisch am Aequator. Am Ende der Hosenbeine luken keck
weisse Sportsocken oder blasse Knoechel hervor. Den Abschluss bilden
schwarze Busfahrerschuhe mit einer kleinen kupfernen Seitenschnalle. Ist
mann im Sommer in Xiangtan Downtown unterwegs, werden Hemd oder Shirt schon
mal gerne bis zur Brust hochgerollt oder aber ganz zu Hause gelassen. Ganz
entscheidend sind auch die Utensilien, mit denen sich ein Lokalheld zeigt:
ohne eine Zigarette hinter dem Ohr trifft man ihn nur selten an. Ebenso
gehoert Bing Lang, das regelmaessig ueber den Tag verteilt gekaut bzw.
genuesslich im Mund herum geschoben wird und beim Sprechen halb aus dem
Mundwinkel heraus ragt, zum guten Ton. Leider nur bleibt der Verzehr von
Bing Lang ueber die Jahre hinweg nicht ganz unbemerkt, da die Zaehne eine
dunklere Faerbung annehmen und braune Raender zurueck bleiben. Von einem
Lokalhelden werden auslaendische Damen z.B. im Bus gerne neugierig und nicht
gerade verhalten gemustert. Vielleicht kommt ihm auch ein verbluefftes „Wei
guo ren“ (Auslaender/in) ueber die Lippen oder seine Mundwinkel wandern nach
einigen Minuten erstaunter Regungslosigkeit zu einem verschmitzten Grinsen
Richtung Ohr. Kann unser Lokalheld Englisch, wird er hoechtswahrscheinlich
versuchen, die exotische Fremde neben sich in ein kleines Schwaetzchen zu
verwickeln. Selbiges versucht er nicht selten durch ein vermeintlich
charmantes „Hello! You are so beautiful“ in Schwung zu bringen.
Seltsamerweise hat frau bei dieser Einleitung das unbestimmte Gefuehl, mit
einem einstudierten Saetzchen aus dem Englischunterricht der Grundstufe
abgespeist zu werden, das inflationaer gebraucht wird und somit dem
US-amerikanischen: „Hello! How are you?“ vergleichbar ist, sprich weder eine
ernst zu nehmende Aussage darstellt noch eine Antwort verdient. Laesst sich
die Angesprochene dennoch auf einen Plausch ein, wird sich ihr eifriger
Gespraechspartner mit Sicherheit rasch vorstellen, hat er sich doch erst
kuerzlich eigenhaendig einen schicken englischen Namen verliehen.




Bild: Klassischer Lokalheld



Eigenkreationen, Direktuebersetzungen, Anleihen aus Film und Fernsehen oder
auch aus dem banalen Alltagsleben – Alles ist bei der Namenswahl denkbar und
so manches Vornamenbuch fuer anglophone Neugeborene koennte in China zu
ungeahntem Volumen aufgestockt werden. Vorgekommen ist schon, dass sich ein
serioeser Geschaeftsmann aelteren Semesters trotz zarten Haendedrucks mit
den Worten: „Hello, I am King Kong“ vorgestellt hat. Auf der Visitenkarte
stand dann tatsaechlich auch schwarz auf weiss „Mr. King Kong“. Zumindest
aeusserlich war die Aehnlichkeit jedoch nicht gerade bestechend, besagter
Geschaeftsmann war naemlich nur 1, 60 Meter gross. Bei der juengeren
Generation sind die englischen Namen oft noch erhellender. So gab sich der
Schueler eines Bekannten, der in Xiangtan als Englischlehrer arbeitet, beim
Aufrufen kurzerhand als „Ice Cream“ aus. Warum auch nicht? Ob ihm das Wort
bei der letzten Lektion ueber die Sommerferienplanung eines Londoner
Teenagers ans Herz gewachsen ist oder er nun einfach gerne Eis isst, solch
einen Namen hat zumindest nicht jeder. Im Grunde genommen ist es nicht nur
eine schmeichelhafte Geste, sondern auch sehr zuvorkommend, wenn sich
Chinesen zum Wohle auslaendischer Gespraechs-, oder Geschaeftspartner einen
englischen Namen geben. Immerhin sind die Aussprache und der schiere
Merkaufwand bei chinesischen Namen kein Zuckerschlecken fuer den
Mandarin-Ungeuebten. Einen englischen Namen ausserhalb des Mainstreams im
Gedaechtnis zu behalten, sollte dagegen keine Probleme bereiten, wenn auch
manchmal das Benutzen schwer faellt. Der Liebhaber einer amerikanischen
Bekannten, dessen chinesischer Name „Nao Zhong“ lautet – woertlich
uebersetzt heisst das „clock“ – schlug ihr praktisch gesinnt vor: „You can
call me clock“, worauf sie mit einem verzweifelten Schulterzucken
entgegnete: „I can’t!“. Nun, ganz unverstaendlich ist ihre Reaktion nicht.
Schliesslich wuesste ich auch nicht, ob ich meinem Freund „Wanduhr, ich
liebe Dich“ ins Ohr hauchen koennte.




Bild: …man beachte die Schuhe

 

Nicht zuletzt kommt auch die indogermanische Sprachfamilie in Bezug auf
ausgefallene Namenskreationen nicht zu kurz und so sollte man tunlichst
Haltung bewahren und nicht in lautes Lachen ausbrechen, wenn sich der
firmeninterne Dolmetscher als „Flug“ vorstellt. Auch wenn einem der Hinweis
auf der Zunge brennt, dass es bei einer Reise nach Deutschland spaetestens
am Flughafen in Frankfurt/Main zu diversen Missverstaendnissen bei den
Lautsprecherdurchsagen kommen koennte. Am meisten Authentizitaet schwingt
jedoch immer noch bei Direktuebersetzungen mit und so wird aus einem
Deutschstudenten, der offiziell „Chao Ren“ (wortwoertlich: „viel Mann“)
heisst, ohne grosse Umschweife und umstaendlichen Erfinder-Schnickschnack
„Supermann“.




Bild: Wuschelköpfe



Nun aber zurueck zu den Lokalhelden. Wie mag ein erster beschnuppernder
Smalltalk im Bus enden? Wittert unser Lokalheld, dass sich die Dame an
seiner Seite zum Aussteigen bereit macht, wird er sein Handy zuecken und sie
um ihre Nummer bitten. Ist sie so hoeflich, ihm nicht die falsche Nummer zu
geben, so kann es vorkommen, dass ihr der eigene Klingelton innerhalb der
naechsten 48 Stunden den letzten Nerv raubt, weil sie mit Anrufen und SMS
regelrecht bombardiert wird. Leider wird frau bei der Fuelle von Nachrichten
nur selten mit poetischer Sprache und galantem Sprachwitz entschaedigt, denn
die SMS fallen in der Regel eher pragmatisch aus: „Do you wanna meet and
have a lot of drinks with me?“. Bei Anrufen wird Subtilitaet uebrigens
ebenso klein geschrieben und so spielt es kaum eine Rolle, ob das Englisch
unseres Lokalhelden gespraechstauglich ist oder nicht. Frau hat unter
Umstaenden damit zu rechnen, 15 Minuten flinkesten Xiangtan-Dialekt ueber
sich ergehen lassen zu muessen, auch wenn sie wiederholt darauf aufmerksam
gemacht hat, diesem Monolog nicht folgen zu koennen. Gelegentlich kann es
auch passieren, dass die eigene Nummer weitergereicht wird. Schliesslich
liegt es gerade bei Universitaetsfrischlingen doch nahe, dass auch der beste
Freund des Englisch-Studenten und dessen Cousin in den Genuss kommen wollen,
ihr Englisch mit einer waschechten Auslaenderin zu ueben.







Bild: ...auch ein wuerdiger Vertreter





Neben dem Typ Lokalheld gibt es noch den Typ Rockroehre. Wie sieht eine
typische Xiangtaner Rockroehre aus? Das Markanteste an einer Rockroehre ist
die Frisur, von der mein Praktikanten-Kollege immer sagt: „Sowas sieht man
in Deutschland nur auf der Hundeschau“. Dauerwellenkrepp, die Augen fast
vollstaendig ueberwuchernde Matten, hochgestylte Igel – Alles, was die
Hochglanzmagazine der Starfriseure aus Paris, Mailand und New York in petto
haben, scheint auf den Strassen Xiangtans vertreten zu sein. Zumindest deren
chinesische Adaptionen. Rockroehren sind in den meisten Faellen jung,
arbeiten nicht selten selber bei einem Haarstylisten, und kleiden sich nach
dem letzten Schrei. Man darf allerdings keine angepasste Kaufhausmode
erwarten, sondern sollte eher punkige Loecherjeans, lila-schwarz-gestreifte
Longsleeves und dunkelgruene Doc Marten’s vor Augen haben. Rockroehren sieht
man meist in Begleitung ihrer Angebeteten. Oft tragen sie das „Hello
Kitty“-Handtaeschchen oder ein anderes rueschenverziertes bzw.
glitzersteinbesetztes Accessoire ihrer besseren Haelfte. Als Auslaenderin
wird man von einer Rockroehre selber nur selten zur Kenntnis genommen. Ist
die Freundin mit unterwegs oder stoebern die Kumpels durch den gleichen
Wuehltisch im Laden, wird man dagegen schuechtern beobachtet und nimmt ein
hinter vorgehaltener Hand gezischeltes und von leisen Kicherausbruechen
begleitetes „What’s your name?“ wahr, wenn man schon fast ausser Reichweite
ist.







Bild: Rockroehre mit Freundin (rechts)







Bild: moderate Rockroehre



Sind Xiangtaner Maenner aber wirklich so unansprechend, wie sie meiner
Schilderung nach bislang erschienen sind? Nein, das sind sie nicht. Eine
chinesische Freundin hat mir z.B. verraten, dass sich eine Frau, die mit
einem chinesischen Mann zusammen ist, wie eine Prinzessin fuehlen kann. Ich
weiss, so etwas klingt nach Kleinmaedchenphantasie und entspricht nicht mehr
unserem emanzipierten Zeitgeist. Dennoch, besagte Freundin ist mittlerweile
mit einem Deutschen zusammen, und sagt, sie schaetzt den Sinn fuer abstrakte
Romantik deutscher Maenner sehr. Nichts desto trotz fehlt ihr das
„chinesische Pendant“ dazu: Chinesen, so meint sie, seien eher praktisch
bzw. materiell fuersorglich veranlagt. Ein Chinese wuerde seine Frau mit
Allem versorgen, was sie brauche und haben wolle – auch wenn die Frau, wie
in China zu einem hohen Prozentsatz der Fall, selber arbeite. Er wuerde ihr
Wuensche erfuellen, ohne dass sie ihn explizit darauf ansprechen muesse, und
sich nicht beschweren, wenn ein Einkaufsbummel den ganzen Tag lang dauere
und er dabei als Berater zu fungieren habe. Gemeinsam den Alltag zu
verbringen sei fuer chinesische Paare von unschaetzbarem Wert und allzu
individualistische Selbstverwirklichungstendenzen wuerden zum Wohle des
Partners und der Familie eher aufs naechste Leben verschoben.



Vielleicht ist es eben doch so, wie meine amerikanische Bekannte immer zu
sagen pflegt, wenn sie gefragt wird, was sie ueber China zu erzaehlen weiss:




„In China, you don’t learn about China.

In China, you learn about yourself.”



Wie tolerant ist man im Grunde genommen, wann platzt einem der Kragen, wenn
Alltagslaerm, Menschenauflaeufe, weniger eng gefasste Begriffe von Distanz
und Privatssphaere, abweichende Auffassungen von Hygiene beim Essen usw. die
eigenen Belastbarkeitsgrenzen ausreizen? Und, nicht zuletzt, was fuer
Eigenschaften sind frau bei einem Mann wichtig? Soll es, bewusst karikiert
gesprochen, lieber der mondaen gekleidete Europaer sein, der fuer eine
wichtige Geschaeftsreise schon mal den lang ersehnten Urlaub in trauter
Zweisamkeit sausen laesst, dies aber mit einem spontanen, selbst
zubereiteten 4-Gaenge-Menue nach seiner Rueckkehr wieder gut zu machen
versucht; oder sehnt sich frau eher nach chinesischem Flair? Sprich einem
Mann, der zumindest materiell und in Sachen Zeitmanagement zuerst an Frau
und Kind und dann erst an sich selber denkt, dafuer aber vielleicht nicht
allzu viel von der Kunst des ideellen Werbens versteht und sich niemals
freiwillig von seinen Busfahrerschuhen trennen wird?


 


Autorin und Copyright

 










Birgitta


Birgitta Hahn, geboren in Würzburg, Au Pair-Zeit
in Frankreich, 2000 Start des Studiums der Ethnologie in Heidelberg,
2001 Wechsel nach Berlin. Mitarbeit am Goethe-Institut in Kenia,
musikethnologische Exkursion nach Tadjikistan und Lehraufenthalt an einer Schule
für indigene
Jugendliche in Ecuador. 2003 erste ethnologische Forschung in Bhutan. Später
Praktika im Auswärtigen Amt und bei Radio Multikulti in Berlin. 2006
Studienabschluss in Ethnologie und in den Nebenfächern Spanisch und Gender Studies.



"Da ich meiner Bestimmung aber scheinbar nicht entrinnen kann, hat es mich im
Januar 2007 wieder ins Ausland verschlagen, diesmal nach China. In der
Kleinstadt Xiangtan, gelegen in der Provinz Hunan in Suedchina, moechte ich
den Raffinessen des „chinese way of doing business“ auf die Spur kommen.
Dies laesst sich wohl am besten mit einem Praktikum in einer chinesischen
Firma erreichen und genau das ist meine momentane Beschaeftigung. Allerdings
werde ich nach meiner China-Zeit der „Generation Praktikum“ den Ruecken
kehren und den Sprung ins „richtige“ Berufsleben wagen.....am liebsten
natuerlich in der Ferne....."


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